Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen

Das deutsche Abkommensnetz umfasst im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen derzeit DBA mit mehr als 90 Staaten. Ungeachtet des Einflusses der Abkommensmuster der OECD und der Vereinten Nationen werden DBA individuell in einem intensiven Verhandlungsprozess zwischen Vertragsstaaten mit jeweils eigener DBA-Politik und Rechtstradition ausgehandelt. Die vorliegende Verhandlungsgrundlage dient einer effizienten Umsetzung der deutschen Abkommensziele unter Verwendung möglichst einheitlicher Formulierungen.

Im Rahmen der Abkommensverhandlungen ist jedoch stets eine an den konkreten bilateralen Wirtschaftsbeziehungen ausgerichtete Abwägung der Wettbewerbsinteressen des inländischen Wirtschaftsstandortes, der Auslandsaktivitäten exportorientierter deutscher Unternehmen und der Sicherung des deutschen Besteuerungsinteresses vorzunehmen. Aufgrund der jeweiligen Unterschiede im innerstaatlichen Recht und der nationalen DBA-Politik der anderen Vertragsstaaten werden sich daher auch weiterhin je nach Verhandlungssituation Unterschiede in Form und Inhalt von DBA-Regelungen ergeben.

Die Verhandlungsgrundlage wird nach Bedarf verändert oder ergänzt werden.

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Entscheidungen des FG Niedersachsen (17.04.2013)

Folgende Entscheidungen hat das Finanzgericht (FG) Niedersachsen mit Datum von gestern (17.04.2013) veröffentlicht:

– FG Niedersachsen Urteil vom 27.02.2013 – 2 K 266/12 (Änderbarkeit eines Steuerbescheids bei einem zunächst ausdrücklich auf § 165 Abs. 1 Satz 2 und Satz 2 AO gestützten, später nur noch auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerks: Unterscheidet das FA im Einkommensteuerbescheid ausdrücklich zwischen einer auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO und einer auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeit, bleibt der auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO gestützte Vorläufigkeitsvermerk und die darauf beruhende Änderungsmöglichkeit auch dann bestehen, wenn in einem danach ergangenen Änderungsbescheid lediglich eine auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützte Vorläufigkeit enthalten ist. Revision eingelegt, BFH-Az.: VIII R 21/13);

– FG Niedersachsen Urteil vom 12.11.2012 – 7 K 10204/09 (Gewerbesteuerbefreiung für teilstationäre Rehabilitationszentren: Die Erträge aus der ambulanten Rehabilitation können gemäß § 3 Nr. 20 Buchst. d GewStg von der Gewerbesteuer befreit sein, auch wenn kein Versorgungsvertrag nach §§ 107, 111 SGB V abgeschlossen wurde. Revision eingelegt, BFH-Az.: X R 2/13);

– FG Niedersachsen Urteil vom 12.06.2012 – 13 K 135/10 (Teilwert für die unentgeltliche Abgabe von Wärme: Die unentgeltliche Abgabe von Wärme aus einer Biogasanlage ist steuerlich als Entnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EStG) zu erfassen. Revision eingelegt, BFH-Az.: IV R 42/12);

– FG Niedersachsen Urteil vom 21.02.2012 – 13 K 210/11 (Regelmäßige Arbeitsstätte einer Betriebsprüferin: Fahrten einer Betriebsprüferin zu ihrer Dienststelle beim Finanzamt für Großbetriebsprüfung sind als Dienstreisen zu berücksichtigen. Rechtskräftig);

– FG Niedersachsen Urteil vom 12.04.2012 – 14 K 335/10 (Einkommensteuer 2009: Verfassungsmäßigkeit des § 32d Abs. 2 Nr. 1 b EStG
Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt – BFH-Az.: VIII B 142/12).

Finanzgericht Niedersachsen

Werbungskostenabzug bei Abgeltungsteuer

FG Köln entscheidet Musterverfahren zum Werbungskostenabzug bei Abgeltungsteuer

Das Finanzgericht Köln hat am 17.04.2013 entschieden, dass Aufwendungen im Zusammenhang mit Kapitalerträgen, die dem Steuerpflichtigen vor dem 01.01.2009 zugeflossen sind, weiterhin unbeschränkt als (nachträgliche) Werbungskosten abgezogen werden können. Das im Jahr 2009 mit der Abgeltungsteuer bei den Einkünften aus Kapitalvermögen eingeführte Abzugsverbot für Werbungskosten (§ 20 Abs. 9 EStG) findet auf diese Ausgaben keine Anwendung.

Der Kläger hat Kapitaleinkünfte für das Streitjahr 2010 in Höhe von 11.000 Euro erklärt. Daneben machte er Steuerberatungskosten in Höhe von 12.000 Euro als Werbungskosten geltend, die im Rahmen einer Selbstanzeige von Kapitalerträgen der Jahre 2002 bis 2008 entstanden sind. Das Finanzamt gewährte lediglich den Sparer-Pauschbetrag. Die Anerkennung der tatsächlich entstandenen Werbungskosten lehnte es unter Hinweis auf ein einschlägiges Schreiben des Bundesfinanzministeriums ab. Danach sei das mit der Abgeltungsteuer eingeführte Werbungskostenabzugsverbot im Hinblick auf das geltende Abflussprinzip auch anzuwenden, wenn die ab 2009 entstandenen Kosten früher zugeflossene Kapitalerträge betreffen.

Der 7. Senat des Finanzgerichts Köln gab der Klage statt (Az. 7 K 244/12). Es begründete seine Entscheidung insbesondere mit dem Wortlaut der einschlägigen Anwendungsregelung (§ 52a Abs. 10 Satz 10 EStG). Diese sehe ausdrücklich vor, dass die entsprechenden Vorschriften der Abgeltungsteuer erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden seien. Neben den tatsächlichen Werbungskosten in Bezug auf die Einkünfte vor 2009 gewährte der Senat dem Kläger für die Kapitalerträge aus 2010 zusätzlich den Sparer-Pauschbetrag. Denn hier kämen im Grunde zwei Besteuerungssysteme nebeneinander zur Anwendung. Für den nach Abzug des Pauschbetrages und der (nachträglichen) Werbungskosten entstehenden Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen greife auch die Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG nicht ein. Auch diese komme nur für Kapitalerträge zur Anwendung, die nach 2008 zugeflossen seien.

Der 7. Senat hat gegen das Urteil die Revision beim Bundesfinanzhof in München zugelassen.

Unter dem Aktenzeichen 8 K 1937/11 ist beim Finanzgericht Köln ein weiteres Verfahren zu derselben Problematik anhängig.

FG Köln, Pressemitteilung vom 17.04.2013 zum Urteil 7 K 244/12 vom 17.04.2013

Banken Haftung: Rückvergütung für die Vermittlung einer Kapitalanlage (Filmfonds)

Verjährung wegen verschwiegener Rückvergütung

Leitsatz:
Weiß ein Anleger, dass die ihn beratende Bank für den Vertrieb der empfohlenen Kapitalanlage eine Rückvergütung erhält, deren Höhe ihm die Bank vor seiner Anlageentscheidung nicht mitgeteilt hat, so hängt der Beginn der Verjährungsfrist seines Schadensersatzanspruches wegen verschwiegener Rückvergütung nicht von der Kenntnis der genauen Höhe der Rückvergütung ab.
Gesetze
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2

Instanzenzug
LG Frankfurt am Main v. 02.06.20102-12 O 311/08
OLG Frankfurt am Main v. 08.11.20119 U 54/10
Tatbestand
1 Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Schadensersatz wegen Aufklärungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Beteiligung an dem Filmfonds V. 3 in Anspruch.
2 Der Kläger zeichnete nach vorheriger Beratung durch einen Mitarbeiter der Beklagten am 15. September 2003 eine Beteiligung an dem Filmfonds (im Folgenden: V 3) im Nennwert von 100.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 5.000 €. Davon erbrachte er 65.000 € aus eigenen Mitteln und weitere 40.000 € durch ein Darlehen der Beklagten. Nach dem Inhalt des Verkaufsprospekts sollten 8,9% der Zeichnungssumme sowie das Agio zur Eigenkapitalvermittlung durch die V. AG (im Folgenden: V. AG) verwendet werden. Die V. AG durfte laut Prospekt ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt eine Vertriebsprovision in Höhe von 8,25% der Zeichnungssumme. Dies wurde dem Kläger im Beratungsgespräch nicht offengelegt.
3 Der Kläger begehrt unter Berufung auf mehrere Beratungsfehler, darunter auch die unterbliebene Aufklärung über die von der Beklagten bezogene Vertriebsprovision, die Erstattung des eingesetzten Kapitals, der aufgewendeten Kreditzinsen und von Steuernachzahlungen in Höhe von insgesamt 79.852 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung. Außerdem begehrt er die Feststellung, dass der Beklagten aus dem Darlehen keine Ansprüche zustehen, sowie die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten mit der Übertragung der Beteiligung.
4 Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist weitgehend erfolglos geblieben. Mit ihrer – vom Senat zugelassenen – Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
5 Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
6 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
7 Zwischen den Parteien sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie von der V. AG eine Rückvergütung in Höhe von 8,25% der Zeichnungssumme erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt und sich insoweit auch nicht in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum befunden.
8 Die unterbliebene Aufklärung über die vereinnahmte Rückvergütung sei kausal für die Anlageentscheidung des Klägers gewesen. Zwar greife die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens nicht ein, wenn sich der Anleger bei gehöriger Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Die Beklagte habe die Kausalitätsvermutung jedoch nicht widerlegt. Das Landgericht habe auf der Grundlage der Vernehmung eines Angestellten des Klägers und des Anlageberaters der Beklagten sowie der Anhörung des Klägers rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die fehlerhafte Beratung der Beklagten kausal für die Anlageentscheidung des Klägers gewesen sei. Selbst wenn der Kläger von einem hohen Anteil weicher Kosten im Strukturvertrieb Kenntnis gehabt habe, spreche dies nicht dagegen, dass er davon ausgegangen sei, dass die Beklagte nicht mehr als einen Anteil am Agio erhalte. Ohne die genaue Höhe der Zuwendungen an die Beklagte zu kennen, habe er deren Interessenkollision jedoch nicht einschätzen können. Der Kläger habe die Problematik der Rückvergütungen erkannt, da er sich im Falle einer Aufklärung gefragt hätte, inwieweit die Beklagte im eigenen Interesse handelt, was für ihn „alles sehr in Frage gestellt” hätte. Dies habe das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise ausreichen lassen, um die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens als nicht widerlegt anzusehen.
9 Die Beklagte könne sich nicht auf Verjährung berufen, denn sie habe nicht dargelegt, dass der Kläger bereits im Jahre 2003 erkannt gehabt habe, dass die Beklagte Provisionen in einer Höhe erhalten habe, die für den Kläger Zweifel an einer seinen Interessen entsprechenden Beratung begründet hätten. Selbst wenn der Kläger angenommen habe, dass die Beklagte einen Teil des Agios erhalte, sei er davon ausgegangen, dass die Beklagte jedenfalls nicht mehr erhalte. Der Kläger habe die Pflichtverletzung der Beklagten, nicht auf das Maß ihres Eigeninteresses hinzuweisen, deshalb nicht erkannt gehabt. Er habe nicht sicher gewusst, dass die Beklagte eine ihm nicht offen gelegte Provision erhalten habe, sondern nur gedacht, dass die Beklagte vielleicht 2 bis 3% des Agios bekomme.
II.
10 Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
11 1. Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte ihre aus dem – nicht mehr im Streit stehenden – Beratungsvertrag nach den Grundsätzen des Bond-Urteils (Senatsurteil vom 6. Juli 1993 XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 , 128 ) folgende Pflicht, den Kläger über die ihr zufließende Provision in Höhe von 8,25% des Zeichnungskapitals aufzuklären, schuldhaft verletzt hat.
12 a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine Bank aus dem Anlageberatungsvertrag verpflichtet, über die von ihr vereinnahmte Rückvergütung aus offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen ungefragt aufzuklären. Aufklärungspflichtige Rückvergütungen in diesem Sinne sind – regelmäßig umsatzabhängige – Provisionen, die im Gegensatz zu versteckten Innenprovisionen nicht aus dem Anlagevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen wie zum Beispiel Ausgabeaufschlägen und Verwaltungsvergütungen gezahlt werden, deren Rückfluss an die beratende Bank aber nicht offenbart wird, sondern hinter dem Rücken des Anlegers erfolgt. Hierdurch kann beim Anleger zwar keine Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit der Anlage entstehen, er kann jedoch das besondere Interesse der beratenden Bank an der Empfehlung gerade dieser Anlage nicht erkennen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 20 und Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 17).
13 b) Bei den von der Beklagten empfangenen Provisionen handelte es sich, wie der Senat für die Parallelfonds V 3 und V 4 bereits mehrfach entschieden hat, um aufklärungspflichtige Rückvergütungen im Sinne der Senatsrechtsprechung (vgl. nur Senatsbeschluss vom 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 26 und Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 18). Wie der Senat in diesem Zusammenhang ebenfalls schon mehrfach entschieden hat, konnte eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über diese Rückvergütungen durch die Übergabe des streitgegenständlichen Fondsprospekts nicht erfolgen, weil die Beklagte in diesem nicht als Empfängerin der dort ausgewiesenen Provisionen genannt ist (Senatsbeschluss vom 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 27 und Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 22 mwN).
14 2. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über diese Rückvergütung durch die Beklagte nicht im Beratungsgespräch erfolgt ist.
15 Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat sich der Kläger zwar „gedacht”, dass die Beklagte einen Teil des Agios erhält; die Höhe der Provision der Beklagten war ihm jedoch nicht bekannt. Darüber ist bei der Anlageberatung nicht gesprochen worden. Nach der Senatsrechtsprechung muss von der anlageberatenden Bank aber auch die Höhe der Rückvergütung ungefragt offen gelegt werden (Senatsbeschluss vom 9. März 2011 XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 27 und Senatsurteile vom 19. Dezember 2006 – XI ZR 56/05 , BGHZ 170, 226 Rn. 24 und vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 22).
16 3. Schließlich hat das Berufungsgericht rechts- und verfahrensfehlerfrei ein Verschulden der Beklagten angenommen (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2010 – XI ZR 308/09, WM 2010, 1694 Rn. 5 ff. und vom 19. Juli 2011 XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 10 ff. sowie Senatsurteil vom 8. Mai 2012 XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 25, jeweils mwN).
17 4. Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung auch insofern stand, als das Berufungsgericht die Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung für den Erwerb der Fondsbeteiligung durch den Kläger bejaht hat.
18 a) Zutreffend hat das Berufungsgericht dabei angenommen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Kläger hätte die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung erworben.
19 aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese sogenannte „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens” gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Es handelt sich hierbei nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 28 ff. mwN).
20 bb) Soweit die Revision entgegen der Annahme des Berufungsgerichts geltend macht, beim Kläger habe auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung ein Entscheidungskonflikt bestanden, weswegen die Beweislastumkehr nicht eingreife, kann sie damit keinen Erfolg haben. Der Senat hat seine frühere Rechtsprechung, nach der die Beweislastumkehr zulasten der beratenden Bank davon abhing, dass für den Anleger vernünftigerweise nur eine Möglichkeit aufklärungsrichtigen Verhaltens bestand, die gehörige Aufklärung beim Anleger also keinen Entscheidungskonflikt ausgelöst hätte, mit Urteil vom 8. Mai 2012 (XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 33 ff.) aufgegeben. Die Beweislastumkehr greift daher bereits bei – wie hier – feststehender Aufklärungspflichtverletzung ein.
21 b) Rechts- und verfahrensfehlerfrei hat das Berufungsgericht weiterhin den der Beklagten obliegenden Nachweis, dass der Kläger die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung erworben hätte, im Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme als nicht geführt angesehen.
22 aa) Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Die dabei vorzunehmende Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Im Revisionsverfahren ist somit lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also alle Umstände vollständig berücksichtigt hat, rechtlich möglich ist und nicht gegen Denk- und Erfahrungssätze verstößt (Senatsurteile vom 29. Juni 2010 – XI ZR 104/08 , BGHZ 186, 96 Rn. 38 und vom 18. Dezember 2007 – XI ZR 76/06, WM 2008, 292 Rn. 20).
23 bb) Hier hat der Kläger angegeben, er habe erkannt gehabt, dass sich im Hinblick auf die Vereinnahmung von Rückvergütungen die Frage stelle, inwieweit eine Bank bei der Anlageberatung im eigenen Interesse handele, weshalb er bei einer Aufklärung über die von der Beklagten vereinnahmte Provision seinen Anlageentschluss grundsätzlich in Frage gestellt hätte. Angesichts dessen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht geschlussfolgert hat, der Kläger hätte bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung die Fondsbeteiligung nicht gezeichnet.
24 5. Das Berufungsurteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit es die Verjährung des Klageanspruchs nach §§ 195 , 199 Abs. 1 BGB verneint hat. Wie die Revision zu Recht geltend macht, war der Schadensersatzanspruch des Klägers, soweit er auf die Verletzung von Beratungspflichten der Beklagten über Rückvergütungen gestützt wird, entgegen der Ansicht des Revisionsgerichts bei Klageerhebung Mitte 2008 bereits verjährt.
25 a) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Schadensersatzanspruch des Klägers bereits mit Zeichnung der Fondsbeteiligung am 15. September 2003 im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Anleger, der aufgrund einer Verletzung der Aufklärungspflicht oder einer fehlerhaften Beratung eine für ihn nachteilige Kapitalanlage erworben hat, bei der gebotenen wertenden Betrachtung bereits durch den Erwerb der Kapitalanlage geschädigt, weil der ohne die erforderliche Aufklärung gefasste Anlageentschluss von den Mängeln der fehlerhaften Aufklärung beeinflusst ist (Senatsurteile vom 8. März 2005 XI ZR 170/04 , BGHZ 162, 306 , 309 f. und vom 12. Mai 2009 – XI ZR 586/07, WM 2009, 1274 Rn. 22; BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 – III ZR 249/09 , BGHZ 186, 152 Rn. 24 mwN). Es kommt hingegen nicht darauf an, ob und wann die Kapitalanlage gegebenenfalls später im Wert gefallen ist (BGH, Urteile vom 19. Juli 2004 – II ZR 354/02, WM 2004, 1823 und vom 8. Juli 2010 – III ZR 249/09, BGHZ 186, 152 Rn. 24; Senatsurteil vom 12. Mai 2009 XI ZR 586/07, WM 2009, 1274 Rn. 22).
26 b) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber angenommen, der Kläger habe nicht bereits bei Zeichnung der Beteiligung an V 3 im Jahr 2003 ausreichende Kenntnis sämtlicher anspruchsbegründender Umstände im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gehabt, weil er die genaue Höhe der an die Beklagte geflossenen Rückvergütung nicht gekannt habe.
27 aa) Die erforderliche Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es grundsätzlich nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände (st. Rspr., BGH, Urteile vom 11. Januar 2007 – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rn. 28 und vom 19. März 2008 – III ZR 22/07, WM 2008, 1077 Rn. 7; Senatsurteil vom 3. Juni 2008 – XI ZR 319/06, WM 2008, 1346 Rn. 27). Es kommt auch nicht darauf an, dass der Geschädigte die Rechtswidrigkeit des Geschehens, das Verschulden des Schädigers und den in Betracht kommenden Kausalverlauf richtig einschätzt (BGH, Urteile vom 25. Februar 1999 IX ZR 30/98, WM 1999, 974, 975 und vom 3. März 2005 – III ZR 353/04, WM 2005, 1328, 1331).
28 In Fällen des Schadensersatzes wegen unzureichender Aufklärung muss der Geschädigte insbesondere nicht die Rechtspflicht des Schädigers zur Aufklärung kennen. Auch insoweit genügt vielmehr die Kenntnis derjenigen tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Aufklärungspflicht ergibt (Senatsurteile vom 29. Januar 2002 – XI ZR 86/01 , WM 2002, 557, 558, vom 28. Mai 2002 XI ZR 150/01, WM 2002, 1445, 1447 und vom 3. Juni 2008 – XI ZR 319/06, W M 2008, 1346 Rn. 27; BGH, Urteile vom 2. April 1998 – III ZR 309/96, BGHZ 138, 247 , 252 , vom 14. März 2002 III ZR 302/00, BGHZ 150, 172 , 186 und vom 11. Januar 2007 – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rn. 28).
29 Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts erfordert der Verjährungsbeginn des Schadensersatzanspruches wegen verschwiegener Rückvergütung auch nicht die Kenntnis des Anlegers von deren konkreter Höhe. Die beratende Bank muss den Anleger zwar über Grund und Höhe einer Rückvergütung ungefragt aufklären, so dass die unterlassene Mitteilung über die Höhe der Rückvergütung ein anspruchsbegründender Umstand ist. Von diesem Umstand hat ein Anleger aber denknotwendig bereits dann positive Kenntnis, wenn er weiß, dass die ihn beratende Bank Provisionen für das von ihm getätigte Anlagegeschäft erhält, deren Höhe ihm die Bank nicht mitteilt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – 6 U 30/10 , […] Rn. 34 f., rechtskräftig durch BGH, Beschluss vom 26. Januar 2012 – III ZR 8/11 ; vgl. auch OLG Karlsruhe, WM 2012, 2245, 2247, rechtskräftig durch Senatsbeschluss vom 3. April 2012 – XI ZR 383/11 und OLG Karlsruhe, BeckRS 2012, 24831, rechtskräftig durch Senatsbeschluss vom 19. Juni 2012 – XI ZR 300/11; U. Schäfer in Schäfer/Sethe/Lang, Handbuch der Vermögensverwaltung, § 21 Rn. 60 aE).
30 Die fehlende Kenntnis des Anlegers von der Höhe der Rückvergütung steht allenfalls in solchen Fällen dem Verjährungsbeginn entgegen, in denen die beratende Bank konkrete, jedoch fehlerhafte Angaben zur Höhe der Rückvergütung macht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – 6 U 30/10 , […] Rn. 36; U. Schäfer in Schäfer/Sethe/Lang, Handbuch der Vermögensverwaltung, § 21 Rn. 60 aE). Denn in diesen Fällen meint der Anleger, über die Höhe der Rückvergütung pflichtgemäß aufgeklärt worden zu sein, weshalb es an der Kenntnis der tatsächlichen Umstände fehlt, aus denen sich die Verletzung der Aufklärungspflicht durch die beratende Bank ergibt.
31 bb) Nach diesen Grundsätzen waren hier nicht nur die objektiven, sondern -was das Berufungsgericht verkannt hat und die Revision zu Recht rügt -auch die subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits bei Zeichnung der Beteiligung an V 3 am 15. September 2003 erfüllt. Insbesondere ist davon auszugehen, dass der Kläger bereits bei Zeichnung der Fondsbeteiligung wusste, dass die Beklagte für deren Vermittlung eine Rückvergütung in Form eines Anteils am Agio erhielt.
32 (1) Die Feststellung, ob und wann der Gläubiger Kenntnis von bestimmten Umständen hatte oder ob seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhte, unterliegt als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung zwar nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht darauf, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist, und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (Senatsurteile vom 15. Juni 2010 – XI ZR 309/09 , WM 2010, 1399 Rn. 13 und vom 23. September 2008 – XI ZR 262/07, WM 2008, 2155 Rn. 17, jeweils mwN). Ein solcher Fehler liegt hier jedoch vor.
33 (2) Wie die Revision zu Recht geltend macht, hat das Berufungsgericht die protokollierten Angaben des Klägers im Rahmen seiner erstinstanzlichen Anhörung zu der Frage, ob er bei Zeichnung der Fondsbeteiligung bereits davon wusste, dass die Beklagte für deren Vermittlung eine Rückvergütung in Form eines Anteils am Agio erhielt, nicht ausreichend gewürdigt. Anders als das Berufungsgericht ausführt, hat der Kläger nicht nur „angenommen” oder sich nur „gedacht” – also nicht gewusst – dass die Beklagte einen Teil des Agios erhält. Er hat vielmehr ausdrücklich erklärt: „Dass da ein Agio von 5 % berechnet wurde, das war mir damals bekannt gewesen. Dass die Commerzbank an diesem Agio beteiligt würde, das war mir damals auch bekannt.” Aus diesen – vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten – Einlassungen ergibt sich, dass der Kläger im Zeitpunkt der Zeichnung seiner Beteiligung positive Kenntnis davon hatte, dass die Beklagte an dem von ihm zu entrichtenden Agio beteiligt wird. Seine durch die spätere Einschränkung („Ich dachte damals, dass die Bank … vielleicht 2 bis 3 % von den 5 % Agio bekommt”) zum Ausdruck gebrachte Vermutung bezog sich demgegenüber nur auf die Höhe dieser Rückvergütung.
34 c) Da der Anspruch des Klägers somit bereits im Jahre 2003 entstanden ist und der Kläger zu diesem Zeitpunkt auch Kenntnis von den seinen Anspruch begründenden Umständen hatte, ist die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB ab dem 1. Januar 2004 zu berechnen (§ 199 Abs. 1 BGB ); sie lief mithin zum Schluss des Jahres 2006 ab. Die am 30. Juni 2008 eingereichte Klage konnte die Verjährung nicht mehr gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmen.
III.
35 Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ). Dabei wird sich das Berufungsgericht mit den vom Kläger behaupteten weiteren Aufklärungspflichtverletzungen durch unrichtige Angaben der Anlageberater der Beklagten über den durch Kapitalgarantien verschiedener Banken sichergestellten 100%igen Geldrückfluss auseinanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.; vgl. auch Henning, WM 2012, 153 ff.).

Reform des handelsrechtlichen Ordnungsgeldverfahrens

Entlastung für den Mittelstand

Zum vom Kabinett am 17. April 2013 beschlossenen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 29. November 2012 zur Reform des handelsrechtlichen Ordnungsgeldverfahrens erklärt die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:

Unternehmen dürfen künftig mit mehr Rechtsschutz und abgestuften Ordnungsgeldern bei Verstößen gegen das Bilanzrecht kalkulieren. Mit dem Gesetz zur Reform des Ordnungsgeldverfahrens sollen die Mindestordnungsgelder von 2.500 Euro auf 500 Euro für kleinste Unternehmen und auf 1.000 Euro für kleine Unternehmen gesenkt werden. Außerdem stärken wir die Mittel, damit sich Unternehmen gegen Fristverstöße zur Wehr setzen können. Mehr Flexibilität im Ordnugsgeldverfahren entlastet die Wirtschaft, ohne die inzwischen hohe Offenlegungsbereitschaft der Unternehmen von 90 Prozent zu gefährden. Das heute vom Kabinett beschlossene Gesetz stärkt durch Entlastung nach dem Micro-Bilanzgesetz zum Bürokratieabbau den Standort Deutschland.

Das Bilanzrecht ist Ausdruck von Transparenz und Verlässlichkeit im Wirtschaftsverkehr und deswegen ein unverzichtbares Element der Wirtschaftsordnung. Für Unternehmen mit geringen Betriebsgrößen ist der bürokratische Aufwand ungleich schwerer als für mittlere und große Unternehmen zu erbringen, die auf Bilanzspezialisten im Unternehmen zurückgreifen können. Künftig bewirkt die Reform des handelsrechtlichen Ordnungsgeldverfahrens Erleichterungen gerade für kleinere Unternehmen, wenn diese die Fristen unverschuldet oder nur geringfügig überschreiten. Außerdem wird eine zweite gerichtliche Instanz eingeführt, so dass grundsätzliche Rechtsfragen einheitlich geklärt werden können. Es wird ein Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingeführt, wenn ein Unternehmen die Sechswochenfrist zur Nachholung der Offenlegung unverschuldet nicht einhalten konnte. Zur Nachholung der Offenlegung erhalten die Unternehmen dann noch einmal sechs Wochen Zeit. Damit können Ausnahmesituationen wie etwa eine lange schwere Erkrankung des Alleingeschäftsführers oder die Vorenthaltung aller Buchführungsunterlagen durch entlassene Alleingeschäftsführer besser als bisher bewältigt werden.

Hintergrund:

Am 17. April 2013 hat das Kabinett den vom Bundesministerium der Justiz vorbereiteten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 29. November 2012 zur Reform des handelsrechtlichen Ordnungsgeldverfahrens beschlossen.

Der Entwurf sieht im Anschluss an frühere Entlastungen für Kleinstkapitalgesellschaften (MicroBilG – s. Pressemitteilung) nunmehr auch Änderungen im Verfahren vor, wenn kleinste und kleine Kapitalgesellschaften zwar ihren handelsrechtlichen Publizitätspflichten nachkommen wollen, aber Fristen versäumen.

Das Bundesamt für Justiz leitet Ordnungsgeldverfahren gegen alle Kapitalgesellschaften ein, die ihre Jahresabschlussunterlagen nicht rechtzeitig offenlegen. Es bleibt auch künftig dabei, dass die Unternehmen nach Androhung eines Ordnungsgeldes noch einmal sechs Wochen Zeit erhalten, um ihre gesetzlichen Pflichten zu erfüllen, bevor das Ordnungsgeld festgesetzt wird. Reagiert ein Unternehmen nicht, setzt das Bundesamt für Justiz ein Ordnungsgeld fest, das mindestens 2.500 Euro beträgt.

Nunmehr wird das Mindestordnungsgeld von 2.500 Euro für Kleinstkapitalgesellschaften bzw. kleine Kapitalgesellschaften auf 500 bzw. 1.000 Euro gesenkt, wenn das Unternehmen verspätet auf die Ordnungsgeldandrohung des Bundesamtes reagiert und die Offenlegung, wenn auch verspätet, nachgeholt hat, bevor das Bundesamt weitere Schritte einleitet.

Gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes durch das Bundesamt kann das Unternehmen Beschwerde beim Landgericht Bonn einlegen. Bislang entscheidet dieses Gericht als einzige Instanz. Nach der Neuregelung gibt es künftig eine Rechtsbeschwerde gegen Beschwerdeentscheidungen des Landgerichts Bonn in Ordnungsgeldsachen. Damit wird sichergestellt, dass grundsätzliche Rechtsfragen einheitlich entschieden werden und die Rechtssicherheit für die Beteiligten erhöht wird.

Der Entwurf knüpft an die mit dem Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz vom 20. Dezember 2012 (MicroBilG) geschaffenen Erleichterungen für Kleinstkapitalgesellschaften an. Für kleine und sehr kleine Unternehmen werden die schon vorhandenen und neuen Erleichterungen beim Umfang der Publizitätspflichten zum Anlass genommen, auch im Ordnungsgeldverfahren Erleichterungen einzuführen. Der Entwurf setzt die Forderungen des Deutschen Bundestages um und mildert Härten des Verfahrens. Er stellt zugleich sicher, dass Deutschland auch künftig seinen europäischen Verpflichtungen vollumfänglich nachkommt, Verstöße von Kapitalgesellschaften gegen ihre Publizitätspflichten wirksam durchzusetzen. Die seit mehreren Jahren erreichte hohe Offenlegungsquote von über 90% der Kapitalgesellschaften kann damit auch künftig sichergestellt werden.

BMJ, Pressemitteilung v. 17.4.2013

Steuerfahndung | Rheinland-Pfalz kauft Steuer-CD

Land kauft Steuer-CD – Kühl „konsequent gegen Steuerbetrug“

Finanzminister Carsten Kühl hat heute Meldungen bestätigt, wonach das Land Rheinland-Pfalz eine sogenannte „Steuerdaten-CD“ angekauft hat. Bisher hatte das Finanzministerium entsprechende Meldungen weder bestätigt noch dementiert, aus ermittlungstechnischen Gründen, wie Kühl heute mitteilte.

Nach Angaben aus dem Finanzministerium handelt es sich um ca. 40.000 Datensätze, die nach intensiven Vorermittlungen zum Preis von vier Millionen Euro von den rheinland-pfälzischen Behörden erworben wurden. „Sie sind authentisch und von einer ausgezeichneten Qualität“, sagte der Minister. „Wir erwarten aus den vorliegenden Informationen ein steuerliches Aufkommen in Höhe von rund 500 Millionen Euro bundesweit. Diese Summe ist auch ein Beleg für die hohe kriminelle Energie, mit der hier Kapitalerträge hinterzogen wurden“ betonte Kühl.

„Steuergerechtigkeit ist in einem modernen Rechts- und Sozialstaat unverzichtbar. Deswegen müssen wir konsequent gegen Steuerbetrug vorgehen. Bei ihren Ermittlungen müssen die Behörden jeden Weg gehen, der nach sorgfältiger Abwägung rechtsstaatlich gangbar ist. Dazu gehört auch der Ankauf von Steuer-CDs. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt.“ Kühl bestätigte, dass seit dem 16. April zahlreiche Durchsuchungen bundesweit stattfinden, die durch eine von Rheinland-Pfalz angekaufte Steuer-CD angestoßen wurden.

Quelle: FinMin Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung v. 16.4.2013

 

Ankauf „Steuer-CD“ – Ministerium widerspricht Bund der Steuerzahler

Ein Sprecher des Finanzministeriums ist einer Erklärung des Bundes der Steuerzahler Rheinland-Pfalz entgegengetreten, der den Ankauf einer „Steuer-CD“ kritisierte.

„Zwei Dinge sollten wir gelernt haben. Die Daten der angekauften ‚Steuer-CD‘ zeigen erneut, dass die Abgeltungssätze, die in der Debatte um ein Steuerabkommen mit der Schweiz für die Besteuerung der Vorgänge aus der Vergangenheit vorgesehen waren, viel zu gering angesetzt waren.

Außerdem haben gerade die Diskussionen in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass sich Österreich, Luxemburg und die Schweiz darauf einstellen, den automatischen Informationsaustausch nun doch zuzulassen. Genau das war die zentrale Forderung der  rot-grün regierten Länder, und genau dies hätte das von der Bundesregierung verhandelte Abkommen verhindert.“

Durchschnittssatzgewinnermittlung nach § 13a EStG nicht für reinen Weinbaubetrieb

Für einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft darf der Gewinn nur dann nach Durchschnittssätzen ermittelt werden, wenn zu ihm selbst bewirtschaftete landwirtschaftliche Nutzflächen gehören. Für Betriebe, deren Tätigkeit sich auf eine Sondernutzung (hier: Weinbau) beschränkt, ist der Gewinn nach allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln.

BFH-Urteil vom 13.12.2012, IV R 51/10 (veröffentlicht am 17.4.2013)

EStG § 4 Abs. 3, § 13a

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz vom 20.11.2009, 5 K 1593/08 (EFG 2011 S. 791 = SIS 11 04 05)

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) unterhielt im Streitjahr 2005 einen Weinbaubetrieb im Nebenerwerb. Die Eigentumsflächen seines Betriebs bestanden ausschließlich aus 4,55 a Hof- und Gebäudefläche. Die Weinbauflächen von 46,14 a hatte der Kläger zugepachtet.

Im April 2006 gab der Kläger eine „Vereinfachte Einkommensteuererklärung für Arbeitnehmer“ auf dem amtlichen Vordruck ESt 1 V für das Jahr 2005 bei dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt – FA -) ab. Gegen den erklärungsgemäß ergangenen Einkommensteuerbescheid legte der Kläger rechtzeitig Einspruch ein und machte geltend, es seien noch Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft zu berücksichtigen. Mit Schreiben vom 24.8.2006 legte der Kläger zur Begründung des Einspruchs eine Anlage L zur Einkommensteuererklärung vor, der Einnahmen-Überschussrechnungen für die Wirtschaftsjahre 2004/2005 „Anteil 2005 (Beginn 01.01.05)“ und 2005/2006 beigefügt waren. In beiden Jahren waren danach keine Betriebseinnahmen entstanden. Die Betriebsausgaben und zugleich Verluste betrugen 2.401,91 € (2004/2005) bzw. 6.410,89 € (2005/2006). Mit Ausnahme der Angaben zum Wirtschaftsjahr in Zeile 1 und der Verluste in Zeilen 2 und 3 des Vordrucks enthielt die Anlage L keine weiteren Eintragungen. Einer weiteren Anlage waren Herstellungskosten einer seit Anfang 2005 errichteten Halle zu entnehmen.

Das FA erbat daraufhin die Vorlage von Pachtverträgen und der EU-Weinbaukartei sowie die Abgabe einer vollständig ausgefüllten Anlage L. Wegen fehlender Flächenangaben sei nicht ersichtlich, ob es sich um einen Antrag nach § 13a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) handele. Unter dem 17.11.2006 antwortete der Kläger und legte eine Anlage L mit Angaben zu den Betriebsflächen vor. Das FA errechnete einen Ausgangswert für eine Sondernutzung i.S. des § 13a EStG von 1.337 DM und kam zu dem Ergebnis, der Gewinn sei nach § 13a EStG zu ermitteln, weil kein wirksamer Antrag nach § 13a Abs. 2 EStG gestellt worden sei.

Der Kläger vertrat die Ansicht, mit Abgabe der Anlage L einschließlich beigefügter Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG sei der Antrag nach § 13a Abs. 2 EStG fristgemäß gestellt worden, weil zuvor wegen der fehlenden Anlage L noch keine Steuererklärung abgegeben worden sei. Das FA folgte dem nicht und erließ eine Einspruchsentscheidung, aus deren Anlage sich Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft von 547 € ergeben, die infolge des Freibetrags nach § 13 Abs. 3 EStG nicht zu einer Erhöhung des Gesamtbetrags der Einkünfte führen.

Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, für das der Veranlagung auch zugrunde liegende Wirtschaftsjahr 2005/2006 sei der Antrag nach § 13a Abs. 2 EStG rechtzeitig gestellt worden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 791 abgedruckt.

Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung des § 13a Abs. 2 Satz 3 EStG. Der Kläger habe bereits im April 2006 eine wirksame Steuererklärung abgegeben und deshalb später einen Antrag nach § 13a Abs. 2 Satz 1 EStG nicht mehr wirksam stellen können.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

II. Die Revision ist nicht begründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft des Wirtschaftsjahrs 2005/2006 auf der Grundlage von § 4 Abs. 3 EStG ermittelt.

1. Die Voraussetzungen für eine Durchschnittssatzgewinnermittlung nach § 13a EStG sind nicht erfüllt.

a) Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 EStG ist der Gewinn für einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittssätzen zu ermitteln, „wenn

  1. der Steuerpflichtige nicht auf Grund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet ist, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, und
  2. die selbst bewirtschaftete Fläche der landwirtschaftlichen Nutzung … ohne Sonderkulturen … nicht 20 Hektar überschreitet und
  3. die Tierbestände insgesamt 50 Vieheinheiten … nicht übersteigen und
  4. der Wert der selbst bewirtschafteten Sondernutzungen nach Absatz 5 nicht mehr als 2 000 Deutsche Mark je Sondernutzung beträgt“.

Durchschnittssatzgewinn ist nach Abs. 3 der Vorschrift „die Summe aus

  1. dem Grundbetrag (Absatz 4),
  2. den Zuschlägen für Sondernutzungen (Absatz 5),
  3. den nach Absatz 6 gesondert zu ermittelnden Gewinnen,…“.

Die Höhe des Grundbetrags richtet sich bei der landwirtschaftlichen Nutzung ohne Sonderkulturen nach dem Hektarwert der selbst bewirtschafteten Fläche (Abs. 4 Satz 1 der Vorschrift). Bei Sondernutzungen, deren Werte jeweils 500 DM übersteigen, ist für jede Sondernutzung ein Zuschlag von 512 € zu machen (§ 13a Abs. 5 Satz 3 EStG).

b) Der erkennende Senat hat daraus geschlossen, dass für einen Betrieb der Land- und Forstwirtschaft der Gewinn nur dann nach Durchschnittssätzen ermittelt werden darf, wenn zu ihm selbst bewirtschaftete landwirtschaftliche Nutzflächen gehören (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 14.4.2011 IV R 1/09, BFH/NV 2011, 1336, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 14.4.2011 IV B 57/10, BFH/NV 2011, 1331). Die Durchschnittssatzgewinnermittlung ist damit solchen Kleinbetrieben nicht gestattet, deren Tätigkeit sich auf eine Sondernutzung beschränkt. Für diese Betriebe gelten die allgemeinen Grundsätze, so dass der Gewinn mangels Buchführungspflicht gemäß § 141 der Abgabenordnung nach dem Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben zu ermitteln ist (§ 4 Abs. 3 EStG), sofern der Steuerpflichtige nicht den Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG ausdrücklich wählt. Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen bestehen nicht, auch wenn der allein aus einer Sondernutzung folgende Gewinn nach § 13a Abs. 5 Satz 3 EStG mit einem pauschalen Zuschlag von 512 € abgegolten wäre (BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 1331).

c) Nach den Feststellungen des FG bewirtschaftete der Kläger keine landwirtschaftlichen Nutzflächen, sondern ausschließlich Weinbauflächen. Weinbau gilt gemäß § 13a Abs. 5 Satz 1 EStG i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c des Bewertungsgesetzes als Sondernutzung i.S. des § 13a EStG. Die Einkünfte aus dem Betrieb des Klägers waren danach nicht nach Durchschnittssätzen zu ermitteln.

2. Da der Kläger nicht zur Führung von Büchern verpflichtet war und auch freiwillig keine Bücher geführt und Abschlüsse aufgestellt hat, sind die Einkünfte im Wege der Einnahmen-Überschussrechnung zu ermitteln. Nach dieser Methode hat der Kläger den Gewinn des Wirtschaftsjahrs 2005/2006 auch tatsächlich ermittelt. Die Höhe dieses Gewinns beträgt unstreitig und vom FG festgestellt ./. 6.411 €, wovon die Hälfte auf das Streitjahr entfällt. Der Gewinn des Wirtschaftsjahrs 2004/2005 ist vom FG nicht festgestellt worden, weil es seiner Berechnung – von seinem Standpunkt aus zutreffend – den Gewinn nach Durchschnittssätzen von 512 € zugrunde gelegt hat. Im Revisionsverfahren ist nicht zu prüfen, ob der im Wege einer Einnahmen-Überschussrechnung zu ermittelnde Gewinn entsprechend den Angaben in der Steuererklärung niedriger als 512 € war, denn der Kläger hat das Urteil des FG nicht angefochten. Damit sind mindestens Einkünfte in Höhe des vom FG ermittelten Betrags anzusetzen.

3. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Einkommensteuer ist höchstens nach dem vom FG zugrunde gelegten zu versteuernden Einkommen zu bemessen, so dass die Revision des FA zurückzuweisen ist. Auf die bislang allein streitige Frage, ob der Antrag auf Nichtanwendung der Durchschnittssatzgewinnermittlung rechtzeitig gestellt worden ist, kommt es danach nicht an. Der Senat entscheidet deshalb ungeachtet des beiderseitigen Verzichts auf mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 90a Abs. 1 FGO.

Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis

Umsatzsteuer; Vereinnahmung des Entgelts in der vorläufigen Insolvenzverwaltung von bereits vor oder während der vorläufigen Insolvenzverwaltung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG berichtigten Umsätzen

Das BMF-Schreiben vom 12. April 2013 ändert Abschnitt 17.1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses:

“Ungeachtet der besonderen Berichtigungspflichten im Insolvenzverfahren wegen Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen (vgl. Abschnitt 17.1 Abs. 11 bis 13 UStAE) finden die grundsätzlichen Regelungen des § 17 UStG weiterhin Anwendung. Wie die sich hieraus ergebende Steuerverbindlichkeit im Insolvenzverfahren zu qualifizieren ist, richtet sich nach den Grundsätzen der Insolvenzordnung – InsO – und den hierzu ergangenen Verwaltungsanweisungen. […]“

Umsatzsteuer; Vereinnahmung des Entgelts in der vorläufigen Insolvenzverwaltung von bereits vor oder während der vorläufigen Insolvenzverwaltung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG berichtigten Umsätzen (PDF, 43,2 KB)

Bundesfinanzministerium (BMF)

Vereinnahmung des Entgelts von bereits vor oder während der vorläufigen Insolvenzverwaltung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG berichtigten Umsätzen

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 2 – S-7330 / 09 / 10001:001 vom 12.04.2013

Ungeachtet der besonderen Berichtigungspflichten im Insolvenzverfahren wegen Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen (vgl. Abschnitt 17.1 Abs. 11 bis 13 UStAE) finden die grundsätzlichen Regelungen des § 17 UStG weiterhin Anwendung. Wie die sich hieraus ergebende Steuerverbindlichkeit im Insolvenzverfahren zu qualifizieren ist, richtet sich nach den Grundsätzen der Insolvenzordnung – InsO – und den hierzu ergangenen Verwaltungsanweisungen.

Nach § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten. Es handelt sich insoweit um Verbindlichkeiten, die während der vorläufigen Insolvenzverwaltung begründet wurden. Die neue Regelung ist auf alle Insolvenzverfahren anzuwenden, deren Eröffnung ab dem 1. Januar 2011 beantragt wurde. § 55 Abs. 4 InsO findet ausschließlich auf den sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter Anwendung (vgl. auch Rz. 2 des BMF-Schreibens vom 17. Januar 2012 – IV A 3 – S-0550 / 10 / 10020-05 (2012/0042691), BStBl I S. 120).

Werden im vorläufigen Insolvenzverfahren Entgelte aus Umsätzen durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder durch den Insolvenzschuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters vereinnahmt, die vor der vorläufigen Insolvenzverwaltung durch den (späteren) Insolvenzschuldner nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG berichtigt wurden, sind die hierauf entfallenden Steuerbeträge (erneut) zu berichtigen. Diese auf Grund der Vereinnahmung entstehende Steuerberichtigung begründet eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO. Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebene Steueranspruch ist erst mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht, mithin im vorläufigen Insolvenzverfahren.

Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO liegen auch dann vor, wenn die Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG während der vorläufigen Insolvenzverwaltung erfolgt und das Entgelt durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder durch den Insolvenzschuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters vereinnahmt wird.

Von diesen Berichtigungen nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG wegen Uneinbringlichkeit aus sonstigen Gründen (z. B. Zahlungsunfähigkeit des Entgeltschuldners, vgl. auch Abschnitt 17.1 Abs. 16 neu) während der vorläufigen Insolvenzverwaltung sind die Berichtigungen auf Grund der Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen (d. h. Insolvenz des Unternehmers) abzugrenzen. Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen tritt (erst) mit Eröffnung des eigentlichen Insolvenzverfahrens (vgl. Abschnitt 17.1 Abs. 11 UStAE) bzw. mit Bestellung des starken vorläufigen Insolvenzverwalters (Abschnitt 17.1 Abs. 12 UStAE) ein.

Die vorstehenden Grundsätze gelten sinngemäß auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 22 Abs. 1 InsO übergegangen ist (sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter). Die sich aus der Berichtigungspflicht nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Umsatzsteuer begründet jedoch eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 InsO (vgl. auch Rz. 5 des BMF-Schreibens vom 17. Januar 2012, a. a. O.). Diese Vorschrift findet – im Gegensatz zu § 55 Abs. 4 InsO – bereits mit Inkrafttreten der InsO zum 1. Januar 1999 Anwendung.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird Abschnitt 17.1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 9. April 2013 – IV D 3 – S-7346 / 12 / 10001 (2013/0323753) geändert worden ist, wie folgt geändert:

1. Absatz 13 Sätze 3 und 4 werden wie folgt gefasst:

3Für Steuerbeträge aus Umsätzen, die nach der Bestellung des sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters erbracht worden sind, kommt keine Berichtigung des Umsatzsteuerbetrags nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 UStG in Betracht. 4Diese Steuerbeträge gelten mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als sonstige Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO.“

2. Folgender Absatz 14 wird eingefügt:

„(14) 1Ungeachtet der Berichtigungspflichten im Insolvenzverfahren wegen Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen (vgl. Absätze 11 bis 13) findet § 17 UStG weiterhin Anwendung, wenn der Steuerbetrag bereits vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters wegen Uneinbringlichkeit des Entgelts aus tatsächlichen Gründen (z. B. wegen Zahlungsunfähigkeit des Entgeltschuldners, vgl. auch Absatz 16) nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 UStG berichtigt wurde und der vorläufige Insolvenzverwalter oder der Insolvenzschuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters das Entgelt im vorläufigen Insolvenzverfahren vereinnahmt. 2Dann ist der hierauf entfallende Steuerbetrag (erneut) nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen. 3Diese auf Grund der Vereinnahmung entstehende Steuerberichtigung begründet bei Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO. 4Wird hingegen vom Insolvenzgericht ein sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 1 InsO eingesetzt, liegen insoweit sonstige Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO vor. 5Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch ist erst mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht, mithin im vorläufigen Insolvenzverfahren. 6Das gilt auch, wenn die Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG während der vorläufigen Insolvenzverwaltung erfolgt und das Entgelt durch den vorläufigen Insolvenzverwalter oder durch den Insolvenzschuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters vereinnahmt wird. 7Dieser Steueranspruch ist ebenfalls als sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO oder bei Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 55 Abs. 2 InsO zu qualifizieren.

Beispiel:
1U hat offene Forderungen aus umsatzsteuerpflichtigen Lieferungen in Höhe von 119.000 Euro gegenüber dem Leistungsempfänger S. 2U hat diese Umsätze in den entsprechenden Voranmeldungszeiträumen angemeldet. 3Über das Vermögen des S wird am 15.07.2000 das Insolvenzverfahren eröffnet. 4Auf Grund eines zulässigen Insolvenzeröffnungsantrages über das Vermögen des U wird vom Insolvenzgericht mit Wirkung zum 15.08.2000 ein sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. 5U vereinnahmt mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters am 15.09.2000 noch Forderungen gegenüber S (bzw. dem Insolvenzverwalter des S) in Höhe von 59.500 Euro.

6U hat die in den offenen Forderungen enthaltene Umsatzsteuer nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 UStG in Höhe von 19.000 Euro unbeschadet einer möglichen Insolvenzquote in voller Höhe spätestens im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des S zu berichtigen (vgl. Absatz 16 Sätze 1 und 2). 7Die Berichtigung ist für den Voranmeldungszeitraum Juli 2000 durchzuführen. 8Nach Vereinnahmung eines Teils der Forderungen im vorläufigen Insolvenzverfahren ist eine erneute Berichtigung der Steuerbeträge nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG durchzuführen. 9Die Berichtigung ist für den Voranmeldungszeitraum September 2000 vorzunehmen. 10Die hieraus resultierende Umsatzsteuer in Höhe von 9.500 Euro stellt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO dar, da es sich insoweit um Verbindlichkeiten des U aus dem Steuerschuldverhältnis handelt, die von einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind.“

3. Die bisherigen Absätze 14 und 15 werden die neuen Absätze 15 und 16.

Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.

Quelle: BMF

Anträge auf Aufhebung der Vollziehung

Die besondere Zugangsvoraussetzung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO gilt auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung
Beschluss vom 12.3.2013, XI B 14/13

Die Regelung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, wonach ein beim FG gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich nur zulässig ist, wenn die Finanzbehörde zuvor einen bei ihr gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder teilweise abgelehnt hat, gilt auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung.

 

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 12.3.2013, XI B 14/13

Die besondere Zugangsvoraussetzung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO gilt auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung

Leitsätze

Die Regelung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, wonach ein beim FG gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich nur zulässig ist, wenn die Finanzbehörde zuvor einen bei ihr gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder teilweise abgelehnt hat, gilt auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung.

Tatbestand

1
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) führt beim Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren, das die Aufhebung eines geänderten Umsatzsteuerbescheides für das Streitjahr 2000 vom 23. Oktober 2008 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt –FA–) zum Gegenstand hat. Der Antragsteller hat die aus der angefochtenen Änderung resultierende Umsatzsteuernachforderung entrichtet.
2
Am Tag der Klageerhebung beantragte der Antragsteller beim FG die Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides für 2000 ohne Sicherheitsleistung. Das FG verwarf den Antrag mit Beschluss vom 20. November 2012  4 V 184/11 als unzulässig mit der Begründung, dass die besondere Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht erfüllt sei. Denn im Zeitpunkt der Antragstellung beim FG habe das FA einen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides weder ganz noch teilweise zuvor abgelehnt. Auch die in § 69 Abs. 4 Satz 2 FGO vorgesehene Ausnahmeregelung greife nicht ein.
3
Das FG hat nach § 128 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO die Beschwerde gegen seinen Beschluss zugelassen unter Hinweis darauf, dass § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO insofern eine Gesetzeslücke enthalte, als die darin geregelte besondere Zugangsvoraussetzung nach dem Gesetzeswortlaut nur für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, nicht hingegen für den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung gelte. Die Frage der entsprechenden Anwendung dieser besonderen Zugangsvoraussetzung auf das Instrument der Aufhebung der Vollziehung scheine höchstrichterlich noch ungeklärt zu sein. Das FG half der Beschwerde des Antragstellers nicht ab (Beschluss vom 23. Januar 2013  4 V 184/11).
4
Zur Begründung der Beschwerde trägt der Antragsteller vor, das FG habe den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen. Denn das FG nehme in unzutreffender Weise an, dass besondere Zugangsvoraussetzungen für seine unmittelbare Anrufung bestünden. Die Einschränkung des § 69 Abs. 4 FGO sei nach Wortlaut, Systematik und Zweck allein auf das Aussetzungsverfahren, nicht auf das Aufhebungsverfahren zugeschnitten. Auch für verfahrensrechtliche Prinzipien gelte das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit und Vorhersehbarkeit: Belastende Eingriffe in die Rechtsstellung der Steuerbürger seien nur dort gerechtfertigt, wo sie sich mit der gebotenen Eindeutigkeit dem Gesetz entnehmen ließen.
5
Das FA hat sich nicht am Beschwerdeverfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

6
II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
7
1. Die Beschwerde ist zulässig.
8
Insbesondere ist sie fristgerecht innerhalb der insoweit geltenden Zweiwochenfrist des § 129 Abs. 1 FGO eingelegt worden. Dem Antragsteller wurde der Beschluss des FG am 27. November 2012 zugestellt. Er hat die Beschwerde am 6. Dezember 2012 –und damit rechtzeitig– beim Bundesfinanzhof (BFH) erhoben, was nach § 129 Abs. 2 FGO gleichfalls zulässig ist.
9
2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet, weil entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers ein beim FG gestellter Antrag auf Aufhebung der Vollziehung grundsätzlich nur zulässig ist, wenn das FA zuvor einen bei ihm gestellten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung abgelehnt hat (vgl. § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO).
10
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wobei der Antrag schon vor Erhebung der Klage gestellt werden kann (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO). Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht nach § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Der Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO ist gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Dies gilt nicht, wenn die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (§ 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO) oder eine Vollstreckung droht (§ 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO).
11
b) Der Wortlaut der Bestimmung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO verbietet entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht die Anwendung dieser Regelung auch auf Anträge zur Aufhebung der Vollziehung.
12
Denn durch die Bezugnahme in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO auf § 69 Abs. 3 FGO –und somit auch auf den in § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO genannten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung– wird dem Rechtsanwender hinreichend deutlich, dass gesetzestechnisch mit dem lediglich so bezeichneten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO auch der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung umfasst sein soll.
13
Diese gesetzessystematische Auslegung entspricht auch der Auslegung der Vorschrift nach deren Sinn und Zweck. § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO hat das Ziel, die Gerichte dadurch zu entlasten, dass die Finanzbehörde mit den für die Gewährung bzw. Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung wesentlichen Gründen befasst worden ist und eine Aussetzung der Vollziehung ganz oder teilweise abgelehnt hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 13. Dezember 1999 III B 15/99, BFH/NV 2000, 827, unter II.1., sowie Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 70, m.w.N.). Dieser Entlastungszweck gilt nicht nur für Anträge auf Aussetzung der Vollziehung, sondern auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung. Daher erfasst die besondere Zugangsvoraussetzung nach § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO nach ständiger Rechtsprechung gleichermaßen auch Anträge auf Aufhebung der Vollziehung (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. Dezember 2003 I B 182/02, BFH/NV 2004, 815, unter II.1.; vom 14. März 2001 VI B 279/99, BFH/NV 2001, 1237, sowie vom 23. Februar 1989 V B 60/88, BFHE 155, 503, BStBl II 1989, 396, unter 2.b zur Vorgängerregelung in Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit).
14
Auch in der Literatur wird –soweit ersichtlich– einhellig die Auffassung vertreten, dass die besondere Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO auch für Anträge auf Aufhebung der Vollziehung gilt (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz 70; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 1071, 1073; Dumke in Schwarz, FGO § 69 Rz 11; Gosch in Beermann/ Gosch, FGO § 69 Rz 272, und Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 70).

Abholung und Entsorgung von Speiseabfällen aus Restaurants und Großküchen ist keine „landwirtschaftliche Dienstleistung“

Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG – Abholung und Entsorgung von Speiseabfällen aus Restaurants und Großküchen ist keine „landwirtschaftliche Dienstleistung“ – Keine Anwendbarkeit von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO bei Erstbescheiden – Verfassungsmäßigkeit der gesetzmäßigen Besteuerung – Prüfung einer Schätzung durch den BFH
Urteil vom 24.1.2013, V R 34/11

Die Abholung und Entsorgung von Speiseabfällen aus Restaurants und Großküchen stellt keine landwirtschaftliche Dienstleistung dar, die der Pauschalbesteuerung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG unterliegt.

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 24.1.2013, V R 34/11

Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG – Abholung und Entsorgung von Speiseabfällen aus Restaurants und Großküchen ist keine „landwirtschaftliche Dienstleistung“ – Keine Anwendbarkeit von § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO bei Erstbescheiden – Verfassungsmäßigkeit der gesetzmäßigen Besteuerung – Prüfung einer Schätzung durch den BFH

Leitsätze

Die Abholung und Entsorgung von Speiseabfällen aus Restaurants und Großküchen stellt keine landwirtschaftliche Dienstleistung dar, die der Pauschalbesteuerung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG unterliegt.

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Landwirt. Er betrieb in den Streitjahren 2003 bis 2005 auf ca. 19 ha gepachteten Flächen einen Mastbetrieb (Schweine und Rinder), ohne dass die Anzahl der Vieheinheiten (VE) nachhaltig die in § 51 Abs. 1a des Bewertungsgesetzes bezeichnete Grenze überschritt.
2
In den Streitjahren holte er mit einem Spezialfahrzeug von Großküchen und Restaurants gegen Bezahlung organische Abfälle (Speiseabfälle) ab. Diese erhitzte der Kläger und verfütterte sie anschließend ausschließlich an seine eigenen Schweine.
3
Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) die Auffassung, dass die Entsorgung der Speiseabfälle eine dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung des Klägers darstelle, und setzte mit Bescheiden vom 29. Oktober 2008 erstmalig Umsatzsteuer für die Jahre 2003, 2004 und 2005 fest. Dabei berücksichtigte das FA die streitbefangenen Umsätze (Speiseresteabholung), in deren Bemessungsgrundlage es neben den Geldzahlungen der Restaurants und Großküchen zusätzlich den Wert der Speiseabfälle einbezog, und die damit zusammenhängenden Vorsteuern.
4
Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit dem in „Entscheidungen der Finanzgerichte“ 2012, 187 veröffentlichten Urteil nur insoweit statt, als das FA die Bemessungsgrundlage für die streitbefangene Leistung des Klägers (Speiseresteabholung) um den Wert der Speisereste erhöht hatte. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
5
Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die Abholung und Entsorgung der Speiseabfälle sei eine sonstige Leistung, die nicht der Durchschnittssatzbesteuerung gemäß § 24 der in den Streitjahren gültigen Fassung des Umsatzsteuergesetzes 1999 bzw. 2005 (UStG) unterliege. Die Entsorgungsleistungen trügen nicht „normalerweise zur landwirtschaftlichen Erzeugung“ i.S. von Art. 295 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) bei, da sie der gewerblichen Betätigung der Restaurants und Großküchen dienten. Die Leistungen des Klägers fielen auch nicht unter Anhang VIII Nr. 2 MwStSystRL, denn die dort genannten Betätigungen müssten sich auf „landwirtschaftliche Erzeugnisse“ beziehen. Die Speiseabfälle seien aber keine „landwirtschaftlichen“, sondern gewerbliche (Abfall-) Produkte.
6
Die Speiseresteabholung unterfalle zudem weder als sog. landwirtschaftlicher Hilfsumsatz noch als landwirtschaftlicher Nebenbetrieb der Besteuerung nach § 24 UStG. Bei restriktiver richtlinienkonformer Auslegung seien landwirtschaftliche Hilfsleistungen nicht von § 24 UStG erfasst. Ein landwirtschaftlicher Nebenbetrieb –dessen Vereinbarkeit mit Art. 295 i.V.m. Anhang VIII MwStSystRL unterstellt– liege nicht vor, da die Umsätze aus der Speiseresteverwertung in erheblichem Umfang die Umsätze aus Landwirtschaft überstiegen hätten, so dass die Speiseresteabholung nicht als Betätigung von untergeordneter Bedeutung beurteilt werden könne. Für die Frage der „Bedeutung“ der Leistungen komme es nicht auf die aufgewendete Arbeitszeit, sondern auf die gegenüber Dritten erbrachten Leistungen an, deren Umfang sich nach dem Entgelt richte.
7
Die Regelbesteuerung der Speiseresteabholung verstoße weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte. Es gelte das Prinzip der Abschnittsbesteuerung. Eine Verwaltungsanweisung, auf die der Kläger hätte vertrauen dürfen, habe nicht existiert. Die steuerliche Behandlung der Erzeugung und des Verkaufs von Biogas sei mangels Vergleichbarkeit für den Streitfall unerheblich. Die vom Kläger herangezogenen Vorschriften über die Speiseabfallentsorgung hätten lediglich ordnungspolitische Zwecke und könnten die europaweit harmonisierte Umsatzbesteuerung nicht beeinflussen.
8
Als Bemessungsgrundlage berücksichtigte das FG die in den Jahresabschlüssen zum 30. Juni des dem jeweiligen Streitjahr folgenden Kalenderjahres ausgewiesenen Erlöse abzüglich der Umsatzsteuer. Eine auf das Kalenderjahr bezogene Berechnung sei nicht möglich. Durch die Verschiebung würden sich allenfalls geringe Abweichungen ergeben.
9
Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit der vom FG zugelassenen Revision, die er auf Verletzung materiellen Rechts stützt. Zu Unrecht gehe das FG davon aus, dass die streitbefangenen Umsätze der Regelbesteuerung unterlägen.
10
Das FG lege Art. 295 ff. MwStSystRL zu eng aus. Eine landwirtschaftliche Dienstleistung müsse nicht zwingend gegenüber einem Land- und Forstwirt erbracht werden. Es müsse berücksichtigt werden, dass Speisereste nicht als gewerblicher Abfall entsorgt werden dürften, sondern im Ergebnis landwirtschaftlich verarbeitet werden müssten. Nach der Speiseabfallverordnung erhalte eine Genehmigung zur Entsorgung nur, wer Schweine mäste oder zur Schlachtung führe. Die Beurteilung aus Sicht des Leistungsempfängers sei ursprünglich als Vereinfachungsregelung entwickelt worden und diene landwirtschaftlicher Nachbarschaftshilfe. Sie dürfe nicht zum Dogma erhöht werden.
11
Da die streitigen Umsätze der Futterbeschaffung dienten, handele es sich um Vorbereitungshandlungen zur landwirtschaftlichen Urproduktion (Schweinemast) und nicht um Hilfsumsätze. Der Vorgang sei vergleichbar mit der Beschaffung von Fertigfutter, die der Durchschnittsbesteuerung unterliege. Zudem handele es sich um einen landwirtschaftlichen Nebenbetrieb.
12
Die rückwirkende Änderung der Verwaltungsauffassung verstoße gegen Art. 20 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Zudem sei Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, soweit die Speiseresteverwertung im Rahmen der Schweinemast anders beurteilt werde als im Rahmen der Verwertung in einer Biogasanlage.
13
Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es die Klage abgewiesen hat, und die Umsatzsteuerbescheide für 2003, 2004 und 2005 vom 29. Oktober 2008 dahingehend zu ändern, dass die erfassten Leistungen der Durchschnittssatzbesteuerung gemäß § 24 UStG unterworfen werden.

14
Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

15
Es schließt sich der Auffassung des FG an. Ergänzend weist es darauf hin, dass der Kläger für die Ausführung der streitigen Umsätze spezielle Gerätschaften in Form eines Fahrzeuges und eines Dampfsterilisators benötigt und damit die „normale Ausrüstung“ seines landwirtschaftlichen Betriebs nicht ausgereicht habe.

Entscheidungsgründe

16
II. Die Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG geht zutreffend davon aus, dass der Kläger nicht berechtigt ist, für seine sonstigen Leistungen, die in der Entsorgung der Speiseabfälle bestehen, gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG die Durchschnittssatzbesteuerung anzuwenden.
17
1. Für die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze wird die Steuer für Dienstleistungen i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 9 UStG gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG und die diesen Umsätzen zuzurechnenden Vorsteuerbeträge gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 UStG auf jeweils neun Prozent der Bemessungsgrundlage festgesetzt.
18
a) Als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb gelten nach § 24 Abs. 2 Satz 1 UStG
19
„1. die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, der Wein-, Garten-, Obst- und Gemüsebau, die Baumschulen, alle Betriebe, die Pflanzen und Pflanzenteile mit Hilfe der Naturkräfte gewinnen, die Binnenfischerei, die Teichwirtschaft, die Fischzucht für die Binnenfischerei und Teichwirtschaft, die Imkerei, die Wanderschäferei sowie die Saatzucht;
20
2. Tierzucht- und Tierhaltungsbetriebe, soweit ihre Tierbestände nach den §§ 51 und 51a des Bewertungsgesetzes zur landwirtschaftlichen Nutzung gehören“.
21
Zum land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehören nach § 24 Abs. 2 Satz 1 UStG auch die Nebenbetriebe, die dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zu dienen bestimmt sind.
22
b) § 24 UStG ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) richtlinienkonform entsprechend dem geltenden Unionsrecht, in den Streitjahren Art. 25 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 13. Januar 2011 V R 65/09, BFHE 233, 72, BStBl II 2011, 465, m.w.N.).
23
Nach Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten auf landwirtschaftliche Erzeuger, bei denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder gegebenenfalls der vereinfachten Regelung nach Art. 24 der Richtlinie 77/388/EWG auf Schwierigkeiten stoßen würde, als Ausgleich für die Belastung durch die Mehrwertsteuer, die auf die von den Pauschallandwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen gezahlt wird, eine Pauschalregelung anwenden. Nach Art. 25 Abs. 2 fünfter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG gelten als landwirtschaftliche Dienstleistungen die in Anhang B aufgeführten Dienstleistungen, die von einem landwirtschaftlichen Erzeuger mit Hilfe seiner Arbeitskräfte und/oder der normalen Ausrüstung seines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder Fischereibetriebs vorgenommen werden. Als landwirtschaftliche Dienstleistungen gelten nach Anhang B der Richtlinie 77/388/EWG Dienstleistungen, die normalerweise zur landwirtschaftlichen Produktion beitragen, wie z.B. „Hüten, Zucht und Mästen von Vieh“ (vierter Gedankenstrich).
24
2. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) gilt Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG nur für die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die Erbringung landwirtschaftlicher Dienstleistungen, wie sie in Abs. 2 dieser Bestimmung definiert sind; demgegenüber unterliegen die sonstigen Umsätze der Pauschallandwirte der allgemeinen Besteuerungsregelung (EuGH-Urteile vom 15. Juli 2004 C-321/02, Harbs, Slg. 2004, I-7101 Rdnrn. 31 und 36, sowie vom 26. Mai 2005 C-43/04, Stadt Sundern, Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 21). Weiter sind die von Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG verwendeten Begriffe in der gesamten Gemeinschaft autonom und einheitlich auszulegen (EuGH-Urteil Stadt Sundern in Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 24). Dabei ist die Sonderregelung nach Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG eng auszulegen und darüber hinaus nur insoweit anzuwenden, als dies zur Erreichung ihres Zieles erforderlich ist (EuGH-Urteile Harbs in Slg. 2004, I-7101 Rdnr. 27, und Stadt Sundern in Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 27; vom 8. März 2012 C-524/10, Umsatzsteuer-Rundschau 2012, 685 Rdnr. 49). Dieses Ziel besteht darin, die Belastung durch die Steuer auf die von den Landwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen dadurch auszugleichen, dass den landwirtschaftlichen Erzeugern, die ihre Tätigkeit im Rahmen eines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder Fischereibetriebs ausüben, ein Pauschalausgleich gezahlt wird, wenn sie landwirtschaftliche Erzeugnisse liefern oder landwirtschaftliche Dienstleistungen erbringen (EuGH-Urteile Harbs in Slg. 2004, I-7101 Rdnr. 29, und Stadt Sundern in Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 28). Keine „landwirtschaftlichen Dienstleistungen“ sind daher Leistungen, die keinen landwirtschaftlichen Zwecken dienen und sich nicht auf normalerweise in land-, forst- und fischwirtschaftlichen Betrieben verwendete Mittel beziehen (EuGH-Urteile Harbs in Slg. 2004, I-7101 Rdnr. 31, und Stadt Sundern in Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 29).
25
Dieser Auslegung folgt die Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteil in BFHE 233, 72, BStBl II 2011, 465, m.w.N.). Die ertragsteuerrechtliche Beurteilung ist daher ohne Bedeutung (BFH-Urteil vom 13. August 2008 XI R 8/08, BFHE 221, 569, BStBl II 2009, 216, unter II.3.).
26
3. Bei Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich bei den streitbefangenen Leistungen nicht um landwirtschaftliche Dienstleistungen, die der Pauschalbesteuerung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG unterliegen.
27
a) Eine Ausweitung des Anwendungsbereiches des § 24 UStG auf die von Landwirten durchgeführte Entsorgung von in Restaurants und Großküchen anfallenden Speiseabfällen ist mit Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG nicht vereinbar. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Entsorgung von Speiseresten in der Liste der landwirtschaftlichen Dienstleistungen gemäß Anhang B der Richtlinie 77/388/EWG nicht ausdrücklich aufgeführt ist. Bei der gebotenen engen Auslegung (vgl. EuGH-Urteile Harbs in Slg. 2004, I-7101 Rdnr. 27; Stadt Sundern in Slg. 2005, I-4491 Rdnr. 27; BFH-Urteil in BFHE 233, 72, BStBl II 2011, 465) handelt es sich nicht um das Mästen von Vieh im Sinne von Anhang B vierter Gedankenstrich i.V.m. Art. 25 Abs. 2 fünfter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG.
28
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann es dahinstehen, ob die Speiseresteentsorgung innerhalb eines landwirtschaftlichen Nebenbetriebs erfolgt ist. Die Zuordnung zu einem landwirtschaftlichen Nebenbetrieb ändert nichts daran, dass nur landwirtschaftliche Dienstleistungen der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegen. Eine solche liegt hier nicht vor.
29
4. Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich eine abweichende Beurteilung auch nicht aufgrund schutzwürdigen Vertrauens.
30
a) Soweit der Vortrag des Klägers dahin zu verstehen ist, dass er aufgrund Abschn. 264 Abs. 1 Satz 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2000 bzw. 2005 i.V.m. R 135 Abs. 3 und 4 bzw. R 15.5 der in den Streitjahren gültigen Fassung der Einkommensteuer-Richtlinien darauf vertraut habe, dass auch die Entsorgungsleistungen der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegen, ist dieses Vertrauen im Streitfall nicht nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) geschützt. Die Vorschrift ist bei Erstbescheiden nicht anwendbar (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Juni 2007 IV B 88/06, BFH/NV 2007, 2088; BFH-Urteil vom 19. März 2002 VIII R 57/99, BFHE 198, 137, BStBl II 2002, 662, m.w.N.). Da der Kläger weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch Jahressteuererklärungen für die Streitjahre eingereicht hat, die gemäß § 168 Satz 1 AO als Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gelten könnten, handelt es sich bei den angegriffenen Bescheiden um Erstbescheide.
31
Ob eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO diesen Aspekt ggf. berücksichtigen könnte, kann im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 1995 VIII R 59/92, BFHE 179, 335, BStBl II 1996, 219).
32
b) Soweit sich der Kläger darauf beruft, dass der streitige Sachverhalt durch das FA bei vorangegangenen Betriebsprüfungen nicht beanstandet wurde, begründet dies nach ständiger Rechtsprechung keinen Vertrauensschutz. Eine Bindung des FA an eine früher erfolgte rechtliche Beurteilung kann sich nur aufgrund einer verbindlichen Zusage gemäß § 204 AO oder einer nach Treu und Glauben verbindlichen Auskunft ergeben (z.B. BFH-Urteile vom 31. Mai 2007 V R 5/05, BFHE 217, 290, BStBl II 2011, 289, m.w.N.; vom 30. April 2009 V R 3/08, BFHE 226, 144). Dafür ist nichts ersichtlich.
33
c) In einer dem UStG und der Richtlinie 77/388/EWG entsprechenden, d.h. gesetzmäßigen Besteuerung vermag der Senat weder eine Verletzung der in Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Grundrechte, noch einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) zu sehen. Unbillige Härten, die aufgrund eines schutzwürdigen Vertrauens in eine fehlerhafte rechtliche Beurteilung entstehen, sind im Wege des § 163 AO geltend zu machen. Dieses Verfahren bietet den Betroffenen ausreichenden Rechtsschutz (vgl. Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 176 Rz 3, m.w.N.).
34
5. Einen vom Kläger behaupteten Verstoß des FG-Urteils gegen Art. 3 Abs. 1 GG im Hinblick auf die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Speiseresteabholung zur Verwertung in einer Biogasanlage vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Speiseresteentsorgung gegen Entgelt stellt unabhängig davon, ob der leistende Unternehmer eine Biogasanlage oder eine Schweinemast betreibt, keine landwirtschaftliche Dienstleistung i.S. von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG dar.
35
Eine möglicherweise unzutreffende Besteuerung eines Konkurrenten ist im Wege der Konkurrentenklage geltend zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 2012 VII R 4/11, BFHE 236, 481, BStBl II 2012, 541), in deren Rahmen zu klären ist, ob dem Kläger insoweit ein subjektives Recht auf Schutz gegenüber der Konkurrenz zusteht. Der Gleichheitssatz vermittelt jedenfalls keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis und damit auf „Gleichheit im Unrecht“ (BFH-Beschluss vom 1. Juli 2010 V B 62/09, BFH/NV 2010, 2136, m.w.N.).
36
Auch der Hinweis des Klägers auf eine vermeintliche „Ungleichbehandlung“ zu einem Betrieb, der Fertigfutter erwirbt, führt zu keiner anderen Beurteilung. Es fehlt bereits an einem vergleichbaren Sachverhalt, da der Erwerb von Fertigfutter keine Ausgangsleistung ist, die mit den streitigen Leistungen des Klägers verglichen werden könnte.
37
6. Die Schätzung des FG zur Höhe des für die Entsorgungsleistungen gezahlten Entgelts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
38
a) Die Schätzung gehört zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO. Der BFH kann sie nur darauf überprüfen, ob sie zulässig war, ob sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist, und ob das FG anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat, d.h. ob das Ergebnis der Schätzung schlüssig und plausibel ist (vgl. BFH-Urteil vom 17. Oktober 2001 I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171).
39
Die Schätzungsbefugnis ergibt sich aus § 96 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO i.V.m. § 162 Abs. 2 Satz 1 AO, da der Kläger keine ausreichende Aufklärung über die im jeweiligen Kalenderjahr ausgeführten Umsätze zu geben vermag. Bei der Schätzung der Höhe nach orientiert sich das FG an den in den Jahresabschlüssen der abweichenden Wirtschaftsjahre ausgewiesenen Erlösen. Dies lässt weder Verfahrensfehler erkennen noch ist dies unschlüssig oder unplausibel. Im Übrigen besteht hierüber zwischen den Parteien auch kein Streit.
40
b) Ob darüber hinaus der Wert der Speiseabfälle gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 UStG Bestandteil der Bemessungsgrundlage ist, braucht der Senat im vorliegenden Verfahren nicht entscheiden, da die Revision bereits aus den oben ausgeführten Gründen keinen Erfolg hat.

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